Brief an Wöller und Kraushaar: Der Fall von Ahmad F. - Abschiebehaft im Brennglas

Die Abschiebehaftkontaktgruppe veröffentlicht heute eine umfassende Analyse des Falls von Ahmad F. Die Analyse wurde vor Versendung dieser Pressemitteilung an Innenminister Roland Wöller wie an die Präsidentin der Landesdirektion, Regina Kraushaar, verschickt. F. war zwei Mal in der Abschiebehaft Dresden inhaftiert: im Januar 2021 und vom 11. Mai bis zum 19. Mai 2021, dem Tag seiner Abschiebung nach Tunesien. Wie in einem Brennglas offenbaren sich an seinem Fall die strukturelle Gewalt, die Menschen in Abschiebehaft erfahren. Eine Geschichte von Misshandlung, behördlicher Häme.

Im Januar wird Ahmad F. in der Abschiebehaft Dresden inhaftiert und wenig später wieder entlassen. Der Sammelcharter nach Tunesien für den 02. Februar 2021 wurde pandemiebedingt abgesagt. Die zuständige Ausländerbehörde Bautzen betreibt die Haftsache in Kenntnis der Heiratspläne von F. mit seiner Freundin deutscher Staatsbürgerschaft. Die Pandemie endet nicht und doch wird wird F. am 11. Mai 2021 erneut inhaftiert. Dass er psychisch vorbelastet ist - nicht zuletzt auf Grund seines ersten Haftaufenthalts - ist der Landesdirektion Sachsen bekannt. In einer der Abschiebehaftkontaktgruppe vorliegenden Mail der Landesdirektion an die Polizei Sachsen schreibt eine Behördenmitarbeiterin in unverfrorener Häme: „Letztlich liegt dieses Vorgehen auch im Interesse der Abschiebungshafteinrichtung nicht über einen längeren Zeitraum mit einem psychisch zumindest nicht unkomplizierten Untergebrachten belastet zu werden.“ Im Interesse der Hafteinrichtung, nicht im Interesse des Menschen, der eingesperrt werden soll. In der Nacht direkt nach seiner Inhaftierung versucht er sich das Leben zu nehmen. Eine Kleine Anfrage des Mitglieds im Landtag Juliane Nagel, DIE LINKE, belegt das.

Laufende Strafanzeige gegen Mitarbeiter*innen der Landesdirektion wie F.

Gegenüber der Abschiebehaftkontaktgruppe erhebt F. während seiner zweiten Inhaftierung schwere Vorwürfe gegen Mitarbeiter*innen der Landesdirektion. Diese sollen ihn geschlagen und getreten und ihn gezwungen haben, sedierende Medikamente einzunehmen. Eine zweite Anfrage von Nagel belegt die laufende Strafanzeige gegen sechs Mitarbeiter*innen der Landesdirektion. Auch gegen F. erhoben sie Anzeige, er soll einen Mitarbeiter gebissen haben. Toni Kreischen, Sprecherin der Kontaktgruppe: "Die Landesdirektion wusste, dass die Haft F. belasten würde. Selbst wenn die Behörde sich nicht über den Zustand des Inhaftierten schert, sondern nur um das 'Interesse der Hafteinrichtung' - warum wurde F. dann überhaupt eingesperrt? Selbstverletzendes bis hin zu suizidalem Verhalten sind doch zu erwarten gewesen."

Ärztliche Begleitung - irgendwie

Ein Blick in F.s Akte wirft weitere Fragen auf. Bei der abgesagten Abschiebung am 02. Februar hätte ihn eine Honorarärztin auf Reisefähigkeit untersuchen sollen. Namentlich handelt es sich um Tatjana Mockwitz, durch Recherchen der taz aus dem Jahr 2010 bereits als Abschiebeärztin bekannt. Nur, sie ist Notärztin. Eine fachärztliche, psychiatrische Ausbildung hat sie nicht, die wäre jedoch im Falle von F. notwendig gewesen. Warum die Landesdirektion eine Ärztin ohne entsprechende Qualifizierung bucht, will sie in Antwort auf eine weitere, dritte Anfrage von Nagel nicht beantworten. Fakt ist: auch am 19. Mai 2021, am Tag seiner Abschiebung, kam F. völlig benommen am Flughafen an. In seinem sedierten Zustand wurde ihm alles Gepäck gestohlen.

Die umfassende Analyse des Falls hier. In ihr findet sich auch eine Kritik an dem von Intransparenz und Ignoranz gekennzeichnetem Antwortverhalten des Innenministeriums gegenüber den Mitgliedern des Landtags. Die Analyse wurde postalisch zwei Tage vor Versendung der Pressemitteilung an den Staatsminister des Inneren, Prof. Dr. Roland Wöller, wie an die Präsidentin der Landesdirektion, Regina Kraushaar, versendet. Auch die demokratischen Mitglieder des Beirats der Abschiebungshaft Dresden haben den Brief erhalten.